Wem gehört die Stadt und wie wollen wir wohnen?
Es ging hoch her im Kunstverein: vor über hundert Besuchern diskutierten auf dem Podium Klaus Theweleit (Kulturwissenschaftler und Autor), Bertold Albrecht (Mobile Akademie), Stefan Rost (Mietshäusersyndikat), Tomas Wald (Stadtsoziologe) und Frauke Stablo (Initiative “Wiehre für alle”) zum Thema: Stadtentwicklung Freiburg.
Entlang der Thesen des Soziologen und Philosophen Henri Lefebvre – “Das Recht auf Stadt”, Paris 1968 – reflektierten sie die Entwicklungen in Freiburg. Neubauen oder Verdichten, in die Höhe oder doch die Hänge herauf, oder vielleicht auch von allem etwas? Die eine Frage zielt auf Wachstum ab, die andere fragt nach bestehenden Strukturen. Diskutiert wurde wie und ob eine Baupolitik der „sozialen Verantwortung“ und Teilhabe umgesetzt werden kann. Wie können die Städte wieder bezahlbar werden? Als pars pro toto fokussierte man sich schnell auf die Rolle der Genossenschaften – und damit sind wir mitten in unserem Stadtteil.
Die Wiehre mit den Planungen der Genossenschaft Familienheim für das Quartier um die Quäkerstrasse steht exemplarisch für die Verschärfung auf dem Wohnungsmarkt. Die BZ berichtet dazu regelmäßig, im März 2018 schreibt sogar die FAZ unter “Schwarmstadt ohne Wohnraum” über die Gentrifizierung in der Wiehre. Wie umgehen mit funktionierenden Wohneinheiten, die aus kommerzieller Sicht “optimiert” werden könnten. Sanierung, Modernisierung und Barrierefreiheit sind die Schlagworte, mit denen man ganze Viertel umkrempeln kann. Vordergründig vernünftig, öffnen die Maßnahmen doch der Gentrifizierung Tür und Tor, denn die unausweichlich folgende Mieterhöhung ist für viele Bewohner nicht mehr erschwinglich. Die durch Abriss und Neubau dann zwingend nachzuweisenden Stellplätze, oberirdisch und unterirdisch, führen vor Augen, dass mit dem Austausch der Mieter auch ein Anwachsen des Fuhrparks zu erwarten ist. Alte Bewohner und finanziell schlechter Gestellte haben oft gar kein Auto, wohl aber die zu erwartenden Besserverdienender.
Der Stadttheoretiker Lefebvre plädiert vehement für eine soziale und demographische Durchmischung urbaner Räume. Dies betrifft im besonderen unseren Stadtteil, der sich seit Jahrzehnten in gewaltiger Transformation befindet. Das ursprünglich sehr durchmischte städtische Milieu aus Handwerksbetrieben, Angestellten und Familien verwandelt sich zunehmend in eine segregierte, d.h. homogene demografische Struktur, in der kaum noch unterschiedliche Bevölkerungsgruppen zusammenleben. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen, daher fordert der Bürgerverein eine bauliche Erhaltungssatzung und unterstützt die Forderung nach sozialem Milieuschutz.
Überraschend vorausblickend äußert sich Lefebvre übrigens bereits 1968 misstrauisch gegenüber „administrativen Integrations- und Partizipationsversprechen“. In seinem Buch kritisiert er beschwichtigende Beteiligungsverfahren in Form von Foren und Bürgergesprächen, und fordert stattdessen die Möglichkeit der tatsächlichen, aktiven Mitwirkung in Form einer Selbstverwaltung. Genau das sollte man von einer Genossenschaft erwarten können.
Der Abend ging entsprechend hitzig zu Ende. Kein Wunder – kaum ist der neue OB gewählt, steht schon der nächste Wahlkampf vor der Tür. Am 26. Mai wählen die Freiburger ihren neuen Gemeinderat, die Kontroverse um das „Recht auf Stadt“ wird uns also weiter begleiten.
Constanze Fetzner (BV)