„Tut nichts! Der Jude wird verbrannt“

sagt der Patriarch in Lessings „Nathan der Weise“, weil er an seiner vorgefassten Meinung festhält und keinem Argument zugänglich ist.

Daran werden wir erinnert, wenn die Weismannstraße ein Ergänzungsschild erhalten soll.
Eine Kommission unter der Leitung des Historikers Prof. Dr. Bernd Martin hat am 21.4.2016 ihren Bericht mit Empfehlungen zum Umgang mit kritischen Straßennamen vorgelegt. Wir haben darüber mehrfach im Bürgerblatt berichtet, soweit es unsere Stadtteile betrifft (Dez 2016 Hindenburgstraße, Jan 2017 Hansjakobstraße, Feb 2017 Jahnstraße, Apr 2017 Zasiusstraße); in diesen Fällen konnten wir die Begründung für ein Zusatzschild oder die Umbenennung nachvollziehen. Erstaunt waren wir über das für die Weismannstraße vorgeschlagene Zusatzschild, 1956 benannt nach dem Freiburger Zoologen August Weismann (Ehrenbürger seit 1904) und seinem Sohn, dem Komponisten Julius Weismann (Ehrenbürger seit 1939). Die Kommission schlägt vor, die Straße nur noch nach dem Komponisten zu benennen, weil der Vater als „Vordenker der Rassenhygiene“ nicht mehr tragbar sei.

August Weismann, 1908

In der 2015 erschienenen umfangreichen Biographie A. Weismanns (über 700 Seiten) von Frederick Churchill findet sich davon allerdings nichts. Nachdem Martin davon erfahren hat, berief er die Kommission, ergänzt um einen Biologen, erneut ein. Sie hat sich für eine Entlastung Weismanns ausgesprochen. Dagegen haben zwei nichtanwesende Mitglieder protestiert; die Stadt ist jedoch der Ansicht, dass das Votum nur geändert werden kann, wenn alle Kommissionsmitglieder zustimmen. Der Gemeinderat hat am 25.7.2017 beschlossen, dass die Straße weiterhin nach Vater und Sohn benannt sein soll, jedoch mit dem Zusatz, dass August Weismann „deutlich sozialdarwinistisches und eugenisches Gedankengut vertrat“.
Als Begründung wurde seine Ehrenmitgliedschaft und seine Rolle in der Gesellschaft für Rassehygiene angeführt, außerdem gelte er als zentrale Figur bei der Verbreitung sozialdarwinistischen Denkens, und schließlich habe er sich brieflich für Menschenzüchtung ausgesprochen und höhere und niedere Menschenrassen
erwähnt.

Von alldem findet sich nichts in seiner Biographie, wobei zu erwähnen ist, dass Fr. Churchill Mitherausgeber der 1999 veröffentlichten Weismann-Briefe ist. Zudem nennen das Gutachten und die Gemeinderatsdrucksache G-16/212 vom 28.09.2016 als die entscheidenden Kriterien für die Beurteilung kritischer Straßennamen die „aktive Förderung des Nationalsozialismus bzw. des NS-Unrechtsstaates von führender Position aus, aggressiven Antisemitismus bei solchen Personen, die Multiplikatoren darstellten und über entsprechenden Einfluss verfügten, extremen Rassismus in Theorie und/oder Praxis, Militarismus in Form der Glorifizierung des Ersten Weltkrieges (Dolchstoßlegende) oder extreme unzeitgemäße Frauenfeindlichkeit“. Offensichtlich fällt Weismann unter keine dieser Kategorien.
Darüber hinaus gibt es keinen Beweis für seine Ehrenmitgliedschaft, weder wird sie in der Zeitschrift der Gesellschaft erwähnt noch in einem seiner Briefe. Vermutlich gründet diese immer wieder (und erst nach seinem Tode!) wiederholte Behauptung auf den Glückwünschen zu seinem 70. Geburtstag im ersten Band der Zeitschrift. Seine einzige Veröffentlichung in dieser Zeitschrift ist eine kritische Besprechung von Semons „Mneme“, hat nichts mit Rassismus oder Eugenik zu tun, sondern dient dem Nachweis, dass erworbene Eigenschaften nicht vererbt werden. Das gleiche Ziel hat sein Buch über den Wert der künstlichen Züchtung, das als Beleg für seine Befürwortung der Menschenzüchtung genannt wird. Da ist aber von Menschen gar nicht die Rede, sondern von Ameisen. Ihm geht es hier darum, dass Ameisen-Arbeiterinnen ihre Anpassungen nicht durch Gebrauch oder Nichtgebrauch erworben haben können, weil sie sich nicht fortpflanzen.
Bleiben seine brieflichen Äußerungen. Inwiefern aber Briefe, die Jahrzehnte nach seinem Tod und den Gräueln des NS-Staates veröffentlicht wurden, ursächlich für dessen Rassenwahn sein sollen, ist nicht zu verstehen.
Wir sollten uns hüten, wie Pharisäer auf August Weismann, den bedeutendsten Evolutionstheoretikers des 19. Jahrhunderts nach Charles Darwin, herabzublicken. Noch ist es Zeit, auf diesen Schildbürgerstreich zu verzichten.
K.-E. Friederich, BV