BZ Interview mit Hans Lehmann

BZ-INTERVIEW mit Hans Lehmann, Vorsitzender des Bürgervereins Oberwiehre-Waldsee über Flüchtlingshilfe, Hassmails und TV-Auftritte.

„Für viele Menschen bin ich jetzt der Prellbock“

Am Donnerstag, den 8. Dezember 2016 sind die letzten 30 Bewohner aus der Stadthalle ausgezogen: Die dortige Flüchtlingsunterkunft im Stadtteil Wiehre ist damit leer. Der Bürgervereins Oberwiehre-Waldsee mit seinem Vorsitzenden Hans Lehmann hat dort die ehrenamtliche Flüchtlingshilfe organisiert. Am Mittwochabend, dem 7. Dezember war er zu Gast in der ARD-Talkshow Maischberger zum Thema „Angst vor Flüchtlingen: Ablehnen, ausgrenzen, abschieben?“. Seither quillt sein E-Mail-Postfach über. Yvonne Weik sprach mit ihm – über das Klima in der Stadt, Neid und Hassmails.
BZ: Nach der Festnahme eines 17-jährigen Flüchtlings hat sich die Stimmung in Freiburg zugespitzt: Der junge Mann wird verdächtigt, die 19-jährige Maria L. vergewaltigt und getötet zu haben. Manche verurteilen bereits alle Flüchtlinge. Kehren auch Ihre Ehrenamtlichen der Flüchtlingsarbeit den Rücken?

Lehmann: Nein, wer seit einem Jahr dabei ist, der bleibt das auch. Viele sagen sich wie ich: Was passiert denn, wenn wir aufhören? Es hilft ja nur eines bei der Integration: Sprache, Sprache, Sprache. Außerdem müssen wir die Kulturen deckungsgleich bekommen.

BZ: Was meinen Sie damit?

Lehmann: Ich versuche das am Beispiel Schule zu erklären: In den Vorbereitungsklassen wird großen Wert darauf gelegt, die Sprache zu lernen. Das ist auch richtig so. Aber parallel muss auch vermittelt werden, wie man sich integriert, welche Regeln hier gelten, was geht und was nicht. Zum Beispiel, dass Frauen, auch wenn sie kurze Kleidung tragen, nicht begrapscht werden dürfen.

BZ: Der mutmaßliche Täter lebte bei einer Pflegefamilie und ging in eine Freiburger Berufsschule.

Lehmann: Er war wohl nicht auffällig. Einer seiner Lehrer mailte mir, er sei ein guter Schüler gewesen – und sonst unauffällig. Das war ein Einzelfall, man darf das jetzt nicht verallgemeinern. In Auggen hat ein Mann aus der Nachbarschaft ein Mädchen ermordet. Soll man jetzt alle Nachbarn abschaffen?

BZ: Das haben Sie auch bei Ihrem Fernsehaufaufritt bei Sandra Maischberger gesagt. Daraufhin gab es viel Resonanz.

Lehmann: Ja, so heftig habe ich es mir nicht vorgestellt. Früher kamen Rückmeldungen aus der Region Freiburg – jetzt kommen Hassmails aus ganz Deutschland. Am Donnerstag hat mich eine Frau am Telefon beschimpft: „Sie Lügner! Solche Leute wie Sie brauchen wir gerade…“ Aber es gab deutlich mehr positive Mails.

BZ: Bestärken die positiven Anmerkungen Sie in Ihrem Tun?

Lehmann: Die tun gut, natürlich. Aber ich bin ja nicht der Messias dieser Stadt. Der Bürgerverein hat damals nicht laut „Willkommen“ gerufen. Im Sommer 2015, mit der großen Flüchtlingswelle, sollten in unserem Stadtteil 450 Flüchtlinge in die alte Stadthalle ziehen. Wir hatten schon 250 in der Hammerschmiedstraße und weitere rund 100 Familien. Wir wussten: Wenn wir als Bürgerverein nichts organisieren, gibt’s Chaos ohne Ende. Das wollten wir nicht. Ich habe als Vorsitzender des Bürgervereins viele besorgte Anfragen bekommen. Die Bürger wollten, dass ich das verhindere. Mir war klar: Wir müssen die Freiburger mitnehmen. In die erste Infoveranstaltung kamen 600 Bürger, 450 wollten sich als Helfer engagieren.

BZ: Ein Helfer pro Flüchtling – war das nicht zu viel des Guten?
Lehmann: Der Kreis ist ja schnell geschrumpft auf 150. Die sind immer noch da. Aber ja, es war zu viel.

BZ: Ein Jahr später kritisieren Sie rückblickend das Überangebot allgemein.

Lehmann: Was ich mir heute vorwerfe: Wir haben uns keine klaren Regeln gegeben. Eine Überfrachtung schadet. Die Flüchtlinge bekamen Konzertkarten und freie Fahrt im Nahverkehr. Wir haben dafür gesorgt, dass sie Kleidung hatten, von der Unterwäsche bis zum hochwertigen Sportschuh. Unsere Kleiderkammer war voll – und edel! Wir haben unterschätzt, dass so die Neiddiskussion befördert wurde. Da gingen die Anrufe los: „Ich habe noch nie Schuhe geschenkt bekommen, Flüchtlinge kriegen alles nachgeworfen.“
BZ: Glauben Sie, dass vor allem Neid der Auslöser für viele Hasskommentare ist?
Lehmann: Mittlerweile bin ich mir da ziemlich sicher: Es handelt sich meist um Egoismus und Neid. Für diese Menschen bin ich jetzt der Prellbock. Aber ich ertrage das ziemlich gut. Nur die Androhung von Gewalt und die Hasstiraden weit unter der Gürtellinie, die haben mich dann doch sehr getroffen.

BZ: Was wünschen Sie sich für Freiburg?

Lehmann: Bald wieder Normalität. Und dass die Menschen auch mal ein paar Minuten nachdenken, bevor sie zum Telefon, dem Computer oder dem Stift greifen. Wenn die Flüchtlingshilfe nicht so viele Helfer hätte, was wäre dann erst in unserer Stadt los?

BZ: Die alte Stadthalle ist jetzt leer. Ist damit die Flüchtlingsarbeit des Bürgervereins beendet?

Lehmann: Für das Organisationsteam des Bürgervereins, ja. Für die vielen Helfer und Helferinnen, die noch da sind, nein. Die Stadthalle ist zwar leer, aber die Menschen sind ja nicht weg, sie sind in neue Wohnheime gezogen. Viele Ehrenamtliche begleiten sie als Paten. Und auch die Kinderbetreuung läuft weiter.
Hans Lehmann, 68, ist Vorsitzender des Bürgervereins Oberwiehre-Waldsee. Der einstige Schulleiter der Friedrich-Weinbrenner-Gewerbeschule engagiert sich mit dem Verein in der Flüchtlingshilfe.
BZ vom 09. Dezember 2016, Autorin Yvonne Weik