Der Rückblick auf eine durchmischte Bilanz
Gleich vorweg, bei einer Stadtspitze, die das Instrument der strategischen Geduld, oder des auf die lange Bank Schiebens in Perfektion beherrscht, ist eine dem Satzungszweck entsprechende Bürgerbeteiligung oder Interessensvertretung nur durch Bündelung aller Kräfte des Gesamtvorstandes möglich. Der oder die jeweilige Vorsitzende sollte sinnvollerweise nur für eine begrenzte Zeit die Verantwortung hierzu übernehmen, denn Verschleißerscheinungen an der Schnittstelle zwischen Politik, Verwaltung und Bürgerschaft sind unausweichlich. Deswegen ist mein Verzicht auf eine erneute Wiederwahl nicht irgendwelcher aktuellen Entwicklungen geschuldet, sondern war bereits zum Amtsantritt 2015 festgelegt.
Unsere Satzung sieht für den oder die Vorsitzende herausfordernde ehrenamtliche Aufgaben vor. Diese können auf unserer Web-Site (www.oberwiehre-waldsee.de/Bürgerverein/Mitglied werden/Satzung) nachgelesen werden. Meine persönliche Bilanz, die auch immer den Gesamtvorstand einbezieht, folgt einer Soll- und Haben-Betrachtung.
Die Haben Seite:
Der Vorsitzenden Wechsel von Karl-Ernst Friederich auf Hans Lehmann erfolgte in der Phase der Umsetzung des STELL-Prozesses (STELL: Stadtteil-Entwicklungs-Leitlinien). Mit den von der Stadt zur Verfügung gestellten Finanzmitteln waren wir Geburtshelfer der Erhaltungssatzungen der Stadt, rüsteten ergänzt durch Spendengelder, die Nordseite der renaturierten Dreisam mit insgesamt 14 Sitzbänken aus und statteten in Zusammenarbeit mit dem Deutsch-Französischen-Gymnasiums und der Pädagogischen Hochschule wertvolle historische Bauten unserer Stadtteile mit Infotafeln nach dem Vorbild der Innenstadt aus. Die erste Dreisamboulevard-Ausstellung 2017 zeigte, was an der Oberfläche machbar ist, wenn der Durchgangsverkehr durch einen Tunnel geführt wird. Drei Projekte mit echtem Zugewinn für unsere drei Stadtteile.
Ebenfalls vom Vorgänger-Vorstand übernommen haben wir die moralische Verpflichtung zum Erhalt und zur Pflege der renaturierten Dreisam samt den angrenzenden Kartauswiesen und dem Hirzberg. Es ist ein gut zusammenarbeitendes Netzwerk aus Regierungspräsidium, Umweltschutzamt, dem Garten- und Tiefbauamt der Stadt Freiburg und uns entstanden. Unser Betreuerteam vor Ort ist enorm fleißig und sorgt mit seinem Einsatz dafür, dass die durch unterschiedliche Ursachen entstandene Schäden schnellstmöglich behoben werden; es sorgt durch Führungen dafür, dass Kinder und Erwachsene echten Natur- und Landschaftsschutz erleben können.
Im gleichen Areal befindet sich das historische Bauernhaus Meierhof auf dem Kartausgelände. Für dessen Erhalt kämpften wir unverdrossen, die vielen Bürgerblattartikel über den zum Abriss Verdammten machten ihn zu unserem „Medienstar“. Unser Mitwirken beim letztendlichen Erhalt macht uns ein bisschen stolz. Ebenfalls stolz sind wir darauf, dass nun das Startsignal zum Weiterbau der Stadtbahn nach Osten vom Gemeinderat gegeben wurde. Zwar sind wir gebietsmäßig nicht unmittelbar betroffen, die positiven Auswirkungen auf unsere Stadtgebiete werden jedoch durch das an der Endhaltestelle errichtete Parkhaus mit knapp 600 Fahrzeugen beträchtlich sein.
Die Flüchtlingskrise Ende 2015 ereilte uns in besonderer Weise. Nachdem klar war, dass die alte Stadthalle zur größten Notunterkunft der Stadt werden wird, standen wir vor der Frage „raushalten oder einmischen“. Schnell war klar, dass wir uns einmischen mussten, denn bis zu 450 kaum betreute Flüchtlinge im Stadtteil Oberwiehre war für uns keine Alternative. In der Hochzeit der Krise betreuten über 400 ehrenamtliche Helfer*innen ebenso viele Flüchtlinge, die Koordinationsarbeit hierfür wurde größtenteils von uns geleistet. Eine riesige Herausforderung für den Vorstand. Lohn der Arbeit war der Ehrenamtspreis 2016 der Stadt Freiburg.
Ebenfalls auf der Haben-Seite verorten wir die Mitwirkung beim Erhalt der Knopfhäusle. Aktuell können wir im Sanierungsbeirat auf „Augenhöhe“ unsere Stimme einbringen.
Als aktuelles Großprojekt sei noch die Mitwirkung beim Klimaprojekt Waldsee genannt. Hier sind wir Medienbegleiter des ausführenden Umweltschutzamtes und als Multiplikatoren tätig. Ein großartiges Projekt, das hoffentlich sein Ziel erreicht, gemeinsam Klimaschutz auf lokaler Ebene voranzubringen.
Der Dreisam-Hock ist seit 23 Jahren im Spätsommer der jährliche Höhepunkt unserer Vereinsarbeit. Im Ganter Biergarten treffen sich Bevölkerung und Vorstand zu einem dreitägigen Programm aus Spiel, Politik, Musik und Gottesdienst. Unser Aktivitäten-Markenzeichen schlechthin.
Zwischen Soll und Haben gibt es die Grauzone Bauen. Das ist der Bereich mit der größten persönlichen Betroffenheit der Bürger, bei deren Mitwirkung wir jedoch durch Datenschutz-Vorwände der beteiligten Ämter von einer echten Mitwirkung ausgeschlossen bleiben. Hier haben wir meist nur eine Kommentierungs-Rolle inne, für uns und die betroffenen Bürger*innen sehr unbefriedigend.
Die Soll-Seiten sind leider ähnlich lang wie die Haben Seite:
Außer Vertröstungen sind wir trotz eines aktiven runden Tischs Lycée Turenne keinen sichtbaren Schritt vorangekommen. 2022 jähren sich 30 Jahre Leerstand des Westflügels und der Turnhalle im Hof. Eine zermürbende Tatsache, die durch den nun mehr Pandemie geschädigten Haushalt der Stadt mit wenig Hoffnung auf baldige Aktivitäten zusätzlich belastet wird. Ein Trauerspiel.
Ein weiteres Opfer der anfänglich erwähnten strategischen Geduld scheint nun auch die alte Stadthalle zu werden. Abenteuerliche Gerüchte von Wohnungsbau bis hin zu Gerichtssälen lassen unsere Forderung einer Wiederbelebung als Halle der Bürger für Bürger mit unterschiedlichen Nutzungskonzepten ins Nirwana entschwinden. Eine versprochene aktive Beteiligung von uns durch den derzeitigen zuständigen Bürgermeister hat sich in Schall und Rauch aufgelöst. Eine sehr, sehr unbefriedigende Entwicklung. Ähnlich ergeht es uns bei der Bebauung des Ganter-Areals. Ständige neue Wasserstandsmeldungen lassen uns den Glauben verlieren, dass das derzeitige Management willens und in der Lage ist, dieses Drama eines ungenutzten „Sahne-Grundstückes“ in bester Lage zu einem guten Ergebnis zu bringen.
Nach der neusten Hiobsbotschaft aus dem Regierungspräsidium betreffs eines vom Dreisamforum geforderten und von uns unterstützen Durchfahrtverbots für LKW´s über 12 t für die B 31 zwischen Freiburg und Donaueschingen vor dem Bau des immer weiter nach hinten geschobenen Stadttunnels ist für uns das gesamte Großprojekt ins Schwanken geraten. Der Bau des Stadttunnels mit all seinen negativen Begleitumständen wird für den neuen Vorstand die Herausforderung schlechthin. Der Wunsch eines kämpferischen Standings auf diesem Wege vom Verfasser.
Meine letzte Ausführung gebührt dem Bürgerblatt. Es gehört eindeutig zur Haben Seite und kommt aufgrund seiner herausragenden Bedeutung für unseren Bürgerverein ganz zum Schluss. Mit ihm bündeln wir nicht nur Informationen für die Bewohner unserer drei Stadtteile, sondern wirken auch identitätsstiftend. Mit dem Bürgerblatt greifen wir regelmäßig politische Diskussionen auf und liefern eine Plattform, auf der Austausch stattfindet und Zukunft verhandelt wird. Diese Zukunftsgestaltung nicht mehr wie in den letzten Jahren mit „Richtungskompetenz“ inne zu haben, ist die schmerzlichste Folge des Amtsverzichtes. Aber c’est la vie.
Hans Lehmann, BV