Die vom Gemeinderat eingesetzte Kommission zur Überprüfung der Straßennamen hat vorgeschlagen, die Weismannstraße nur noch nach dem Komponisten Julius Weismann zu benennen, weil sein Vater August als Zoologe als Vordenker der ‚Rassehygiene‘ untragbar sei (Bürgerblatt Juni 2017).
Der Bürgerverein hat Bedenken gegen diese Darstellung in einem Brief an Bernd Martin, den Vorsitzenden der Kommission, angemeldet; wir zitieren die wesentlichen Gesichtspunkte:
„Zunächst einmal dürfen wir den Begriff der Rasse nicht, jedenfalls nicht nur, mit der heutigen Brille betrachten; heute wird dieser Begriff aus gutem Grund nicht mehr auf den Menschen angewandt – auch wenn Begriffe wie z. B. Rassenunruhen nach wie vor gebräuchlich sind. Das war im 19. Jahrhundert völlig anders: damals war die Existenz verschiedener Menschenrassen Allgemeingut, nicht nur in der Wissenschaft. Für mich entscheidend war aber die Rolle, die Weismann in der Gesellschaft für Rassenhygiene gespielt (oder besser gesagt nicht gespielt) hat. Diese Gesellschaft wurde 1905 von Alfred Ploetz gegründet, der in der Tat von der Überlegenheit der ‚nordischen Rasse‘ überzeugt war, sich andererseits aber auch entschieden gegen den Antisemitismus wandte. Dafür, dass Weismann Ehrenmitglied der Gesellschaft war, konnte ich keine Quelle finden. Ihm wurde jedoch gemeinsam mit Ernst Haeckel auf S. 1 der ersten Nummer des ‚Archivs für Rassenbiologie‘, dem Organ der Gesellschaft, zum 70. Geburtstag gratuliert. Das ist sicher als Ehrung für Weismann gedacht, diente aber vor allem dem Ansehen der Zeitschrift und damit der Gesellschaft und beweist keineswegs, dass Weismann sich mit den (späteren) Zielen der Gesellschaft identifiziert hat.
Unter den Autoren dieser Zeitschrift finden sich so unverdächtige Namen wie Carl Correns, Emil Abderhalden, Erich Tschermak, Francis Galton, Hugo de Vries – aber auch Konrad Guenther oder Alfred Hegar. Weismann selbst hat nur ein einziges Mal in dieser Zeitschrift publiziert (Richard Semon’s „Mneme“ und die „Vererbung erworbener Eigenschaften“ in Band 3, S. 1 bis 27); hier ist von Rassen keine Rede und auch nicht die Spur von Rassismus zu finden, obwohl sie hier noch am ehesten zu erwarten wäre.
In der umfangreichen, 2015 erschienenen Weismannbiographie von Frederick Churchill ist nirgends von Rassismus die Rede, obwohl dies bei einem nichtdeutschen Autor zu erwarten wäre, wenn der Vorwurf berechtigt wäre. Auf S. 549f. wird Weismanns anlässlich seines 70. Geburtstags an seine Studenten gerichtete Maxime wiedergegeben ‚Forschung dient nicht praktischen Zwecken, sondern der Erkenntnis‘. Diese Haltung dürfte ihn immun gegen eine rassistische und letztlich unmenschliche Ideologie gemacht haben. Es ist müßig, darüber zu spekulieren, wie sich Weismann zur NS-Ideologie verhalten hätte, da er 1914 gestorben ist.
Vor diesem Hintergrund scheint mir dieser Vorwurf des Rassismus oder gar des Wegbereiters der NS-Rassenbiologie völlig unberechtigt, ganz abgesehen von den unvergänglichen Verdiensten, die sich dieser große Freiburger Zoologe erworben hat. Ich denke dabei an die von ihm erarbeiteten Begriffe der Stammzelle oder der Keimbahn, die heute (wissenschaftliches) Allgemeingut sind.
Wenn Sie mir jedoch Quellen nennen können, die den Vorwurf der Kommission belegen, bin ich Ihnen für entsprechende Hinweise sehr dankbar.“
In einem Zwischenbescheid hat sich Prof. Martin für den Brief ausdrücklich bedankt und eine neuerliche Beratung in der Kommission angekündigt; erforderlichenfalls werde die Empfehlung geändert. Dies ist bislang nicht geschehen; wir werden über das Ergebnis berichten.
K.-E. Friederich