Gratulation vom Bürgerverein an den neuen Stadtrat
Zu verstehen, dass das kommunale Verhältnis- Wahlsystem auf der Grundlage von eingereichten Listen von Parteien und Wählervereinigungen für das betreffende Wahlgebiet besteht, gelingt noch den meisten Wählerinnen. Auch dass jedem Wahlberechtigten so viele Stimmen zustehen, wie Mandatsträger zu wählen sind, ist allgemein bekannt. Im Falle von Freiburg sind das Kommunengröße bedingt 48 Mandate, die zu vergeben sind. Die ersten Probleme tauchen bei dem seit eh und je für Baden-Württemberg typischen „Kumulieren“ und „Panaschieren“ auf, die erlauben auf und zwischen den einzelnen Listen Stimmen zu verteilen. Dies beherrschen schon längst nicht mehr alle Wählerinnen, dokumentiert durch ca. 10% der ungültig abgegebenen Stimmen bei der Stadtratswahl 2019. Wenn jedoch die Sprache auf das Berechnungsverfahren für die Sitzverteilung nach dem Höchstzahlverfahren Sainte-Laguë/Schepers kommt, bringt einem schon alleine der Name des Verfahrens ins Abseits. Dieses Verfahren beruht auf einer „Oberverteilung“ der Sitze auf die einzelnen Listen und dann in einer „Unterverteilung“ das Ranking innerhalb der Listen nach der Stimmenzahl der einzelnen Bewerberinnen. Die „Oberverteilung“ ergibt die Anzahl der Sitze pro Liste, die „Unterverteilung“ wer von den Listenbewerbern zum Zuge kommt. Kleine Parteien und Wählervereinigungen sind hierbei in einer bevorzugten Position. Das oben stehende Ranking Schaubild mit den abgegebenen erzielten Stimmen zeigt, dass man für ein Mandat in der stärksten Fraktion der Grünen knapp 30.000 Stimmen benötigte, während die Bürger für Freiburg bereits mit 8.249 Stimmen ein Mandat erhielten.
Beim Betrachten des Ranking-Schaubildes fällt die Frauendominanz auf den ersten fünf Plätzen der Gesamtranking-Liste insgesamt und bei den Grünen/Bündnis 90 en Detail auf. Mit Maria Viethen und der Newcomerin Sophie Schwer stellen sie auch die Stimmenköniginnen dieser Wahl (siehe Anlage S.2) Ein 9:4 Verhältnis Frauen/ Männer spricht bei dieser Partei ebenfalls für sich. Sowohl der Gleichberechtigungs-wie auch Generationenschnitt wurden beispielgebend gelöst. Neun relativ junge Stadträtinnen haben in dieser Partei die zahlenmäßige Oberhand. Ob dieser Schnitt alsbald auch qualitativ gute Früchte hervorbringt, wird sich zeigen, denn mit Birgit Wölki, Gerhard Frey und Ekkehard Friebis sind drei absolute „Hochkaräter“ aus der Fraktion ausgeschieden. Bei den beiden mit je sechs Stadträinnen folgenden Parteien SPD und CDU ist der Gleichberechtigungs- und Generationenschnitt nicht oder gar nicht gelungen. Die SPD hat zumindest ihre beiden Jüngsten Julia Söhne und Julien Bender in Spitzenpositionen gebracht und stellt mit 3:3 auch ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis. Eine echte Verjüngung fand jedoch nicht statt, auf den restlichen vier Plätzen herrscht das bekannte SPD-Establishment. Noch weniger hat die CDU den Generationenschnitt geschafft oder den Frauenanteil erhöhen können. Fünf ältere Herren umranken die CDU- Zukunft der Stadt, Caroline Jenkner. Bei den fünf verbliebenen CDU-Herren sticht hierbei der Stadtratsneuling Bernhard Rotzinger heraus, dessen medienpräsente gute Arbeit als Polizeipräsident der letzten Jahre durchschlagend bei der Stadtratswahl wirkte. Mit ihm hat die CDU ohne Zweifel personell qualitativ aufgestockt. Die Überraschung der Wahl sind für uns die Grünen Alternativen. Monika Stein hat ihre Popularität aus der vergangenen Oberbürgermeisterwahl voll auf diese Liste übertragen können und ist persönlich die Stadträtin mit den drittmeisten Stimmen, in deren Sog noch zwei weitere Mandate entsprangen. Klare, sozial geprägte Stadträtinnen Arbeit über viele Jahre scheint tatsächlich bei den Wählerinnen registriert zu werden. Mit der Linken Liste und den Freien Wählern folgen zwei weitere Parteien mit ebenfalls drei Mandaten. Zur langjährigen Linken Liste Galionsfigur Michael Moos gesellen sich zwei neue, junge Gesichter. Überraschungen gab es im Lager der Freien Wähler. Außer Johannes Gröger – der jedoch von 1 auf 3 durchgereicht wurde- sind die Mandatsträger Neulinge. Kai Veser schaffte als Kreisvorsitzender auf Anhieb die Spitzenposition im Trio, mit Claudia Feierling zieht eine bisher in der Politikszene unbekannte Größe in den Stadtrat ein. Der langjährige Stadtrat Manfred Stather und der Stadtrats- Nachrücker Berthold Disch wurden überraschend nicht mehr in den Stadtrat gewählt. Freiburg Lebenswert schrumpfte von drei auf zwei Stadträtinnen zusammen, wobei es bei dieser Gruppierung um Gerlinde Schrempp und Wolf-Dieter Winkler nicht an mangelndem Fleiß in der vergangenen Stadtratsperiode gelegen haben dürfte. Ebenfalls geschrumpft ist die Kulturliste von zwei auf ein Mandat, wobei uns als Bürgerverein Oberwiehre-Waldsee besonders der Mandatsverlust von Stadträtin Brigitte von Savigny schmerzt, denn sie war als Stadtteil-Bewohnerin eine engagierte Vertreterin für unsere Bürgervereins Belange. Atai Keller obliegt es nun alleine, die Kulturfahne hoch zu halten. Von den unabhängigen Frauen behauptet sich Irene Vogel stabil als Stadträtin, ein anerkennenswertes Ergebnis für die sehr gute Arbeit seit vielen Jahren. Über die restlichen Mandatsträgerinnen lassen sich von unserer Seite mangels weiterer Erkenntnisse keine Aussagen treffen.
Festzuhalten bleibt: Freiburgs künftiger Stadtrat wird bunt, von 18 aufgestellten Listen ziehen 16 ins Rathaus ein. War es nun eine Persönlichkeitswahl, eine Listenwahl oder bei den Grünen/Bündnis 90 eine „Mainstream-Wahl“ durch die hochgekochten Themen Klimawandel und „Friday for Future“?
Für uns als Bürgerverein ist die Beantwortung dieser Frage unbedeutend. Bedeutend für uns ist, dass die 48 gewählten Mandatsträgerinnen ihren Stadtträtinnen Auftrag der nächsten fünf Jahre sachlich und zum Wohle der Stadt und ihrer Bewohner erledigen. Für persönliche Ränkespiele haben wir kein Toleranzfeld offen.
Hans Lehmann, BV
Kolumne zur Stadtratswahl
Etwas dagegenhalten – Rechten Tendenzen die Stirn bieten
Zwei entgegenkommende Autos – eine enge Straße. Einer muss Platz machen. Macht auch in der Regel einer. Und der andere fährt durch. Einfach so. Früher war es üblich, dass der Bevorzugte die Hand gehoben hat: Danke. Danke fürs Durchlassen. Ist selten geworden diese einfache Geste im täglichen Straßenverkehr. Leider.
Ich komme mir vor als schreibe ich eine Predigt für den kommenden Sonntag. Der Gemeinde ins Gewissen reden. Nein, das will ich nicht. Aber ich bin davon überzeugt, dass wir alle wieder etwas tun müssen. Für die Werte, für die unsere Eltern und Großeltern schon gekämpft haben. Für Anstand und Toleranz untereinander. Für Verständnis, für Diskussionskultur, für das Einhalten von gemeinschaftlich festgelegten Regeln. Für die Demokratie. In Berlin reden die auch ständig von Demokratie, aber Berlin ist verdammt weit weg. Nein, hier bei uns im Freiburger Osten kann jeder von uns ein bisschen was für die Demokratie tun. Wir haben uns alle so daran gewöhnt, dass wir vergessen haben, dass die Herrschaft des Volkes auch vom Volk gelebt werden muss. Täglich. Was gehört schon dazu jemand mal wieder, vielleicht sogar mit einem Lächeln, die Tür aufzuhalten. Was kostet es uns die Frau hinter der Bäckereitheke mit einem freundlichen Guten Morgen zu begrüßen. Oder wie einfach ist es die Hand zu heben im Auto – danke fürs Durchlassen. Etwas dagegenhalten. Gegen die ständige schlechte Laune und den Hass. Gegen rechte Tendenzen, die Aggressivität im täglichen Leben, die immer mehr um sich zu greifen scheint. Wir können was tun, wir sollten was tun. Etwas gegen das rechts Denkende und Handelnde machtlos sind. Unsere Freundlichkeit. Unsere Zufriedenheit über das Leben, wie wir es heute dank der Demokratie leben können, zum Ausdruck bringen. Unser Alltag wird nicht in Berlin gemacht, unseren Alltag machen wir selbst. Da können wir ganz schön politisch werden. In dem wir etwas dagegenhalten.
Stephan Basters, BV