Dr. rer. nat. Beatrix Tappeser (BT), Diplom-Biologin, verheiratet, zwei erwachsene Kinder und ehemalige Freiburger Stadträtin, ist seit Ende Juli das neue Gesicht des Vorstandes des Bürgervereins Oberwiehre-Waldsee. Mit ihr sprach Sabine Engel (BV).
BV: Fr. Tappeser, „Staatssekretärin im hessischen Umweltministerium, Mitglied der Geschäftsführung des Öko-Instituts Freiburg, Fachgebietsleitung Gentechnikgesetz im Bundesamt für Naturschutz und Mitglied und Vorstand im Bioökonomierat der Bundesregierung sowie der Vereinigung deutscher Wissenschaftler…“ – Ihre berufliche Reputation und Ihr internationales Engagement für die Natur und den Umweltschutz sind beachtenswert und fast schon einschüchternd. Wie hat es der Bürgerverein geschafft, eine solche hochkarätige Expertin für den Vorsitz zu gewinnen?
BT: Eigentlich hatte ich mich nach meiner Rückkehr aus Hessen gerade schön im Ruhestand eingerichtet und die verpflichtungsfreie Zeit genossen. Dann aber traten von verschiedenen Seiten einige Vorstandsmitglieder, Studienkollegen meines Mannes – die Welt ist klein –, unabhängig voneinander an mich heran. Ich habe mich gefragt, ob ich mir das vorstellen könnte. Und da ich schon als Stadträtin für die Grünen Ende der Neunziger gerne in der politischen Landschaft Freiburgs mitgemischt und mich im Bauauschuß, im Umweltausschuß und im Kulturausschuß engagiert habe, konnte ich diese Frage gut und gerne mit „ja“ beantworten. Ich habe beruflich an vielen internationalen Entscheidungen für den Erhalt der Biodiversität, den Erhalt unserer Lebensgrundlagen nach dem Konsensprinzip mitgewirkt, aber immer wieder feststellen müssen, dass die Vereinbarungen zwischen den Ländern nur so gut sind, wie sie lokal und das heißt ganz besonders in den Kommunen und schlussendlich bei den Menschen vor Ort umgesetzt werden. Deshalb ist der Bürgerverein in Zusammenarbeit mit den anderen Initiativen, die es in Freiburg gibt, ein großes Potential, um auch die Themen, die mir am Herzen liegen, mehr ins Auge zu fassen.
BV: … und die wären?
BT: Ganz eindeutig als dringlichste Probleme der Verlust an biologischer Vielfalt und die Klimakrise! Am 29.7.21 war der statistische Erdüberlastungstag, in Deutschland hatte wir den schon Anfang Mai erreicht. Wir sägen den Ast ab, auf dem wir leben, wenn wir so weiter machen. Die EU hat das Ziel 30/30 ausgegeben, d.h. bis 2030 sollen 30% der Natur-Flächen unter Schutz gestellt werden und die jetzige Bundesregierung hat bis 2050 das Ziel Netto Null ausgegeben, das heißt, es soll kein Quadratmeter Boden mehr zusätzlich versiegelt werden. Statt neu zu bauen und immer mehr Flächen zu verbrauchen und damit auch graue Energie (Sand, Beton und Energie nur für Bauten, Anmerk. der Red.) müssen wir Nachverdichten und Aufstocken. Auch müssen wir Wege finden, auf fossile Energien zu verzichten und uns fragen, was wir in unserem Stadtteil tun können. Artensterben und Klimakatastrophe sind menschengemacht, nur der Mensch kann eine Trendwende erwirken und mitgestalten. Insgesamt ist unser Stadtteil schon auf einem guten Weg mit dem Projekt „Klimaquartier“, der Energiekarawane, die im September anläuft und gerade sind Balkon-Solaranlagen, die für viele mit staatlichen Zuschüssen erschwinglich sind, im Gespräch. Und auch das Thema Nahwärme finde ich sehr spannend – wäre das ein mögliches Energiekonzept für einen ganzen Stadtteil?
BV: Wen möchten Sie denn mit ins Boot holen?
BT: Nun, die Vernetzung mit der Stadtverwaltung ist förderlich, aber ich denke da auch an die ganzen Menschen vor Ort in verschiedenen Initiativen, wie z.B. das Haus des Engagements, das Forum Dreisamufer, den Ernährungsrat, die Bürgerinitiative Statt-Tunnel und andere Initiativen, die ich noch gar nicht kenne.
BV: Bisher waren eher verkehrs- und städtebauliche Themen Schwerpunkte des Bürgervereins. Sind das nicht so Ihre Themen?
BT: Doch, aber vielleicht habe ich eine andere Sicht- und Herangehensweise. Z.B. der Stadttunnel, den sehe ich eher skeptisch. Es macht für mich keinen Sinn, ein solches Mammutprojekt zu befürworten, um nur noch mehr Verkehr durch Freiburg – wenn auch unterirdisch – zu leiten. Die Frage für mich ist eher, wie wir den Autoverkehr (Thema Verkehrswende) deutlich reduzieren können. Wenngleich ich natürlich ein anderes Schwerpunktthema des Bürgervereins, den Dreisamboulevard und wie die Menschen sich den städtischen Raum zurück erobern können, sehr interessant finde. Auch im Bereich Städtebau bin ich viel unterwegs gewesen. Hier stellt sich mir immer öfter die Frage, wie wir verschiedene Anforderungen unter einen Hut bekommen. Es geht um bezahlbares Wohnen, um die Notwendigkeiten unsere Wärme- und Energieversorgung auf erneuerbare Energien umzustellen und den besonderen Flair unseres Stadtteils zu erhalten. All das braucht gute Kompromisse. Denkmalschutz ist wichtig, sollte aber nicht verhindern, dass erneuerbare Energien genutzt werden können und zB durch Nachverdichtung und Aufstockung neuer Wohnraum geschaffen wird. Wenn unsere Kinder und Enkel gut leben können sollen, dann müssen wir alle gemeinsam heute dafür sorgen.
BV: Und der Bereich Senior:innen?
BT: Das ist ebenfalls ein wichtiges Thema, und als Ruheständlerin zähle ich ja fast schon zu der Gruppe (auch wenn ich mich nicht so fühle). Wir sind als Vorstand breit aufgestellt und da wird dieser Bereich selbstverständlich mitbetreut. Ähnlich wichtig ist es, Freiräume und sichere Räume für Kinder und Jugendliche zu haben.
BV: Thema Schüler:innen und Schulen: Was halten Sie von der „Rochade“-Lösung bezüglich des Leerstandes und der Sanierung des Lycée Turennes?
BT: Das finde ich ein ganz hervorragendes Projekt! Da lassen sich mehrere Aspekte verknüpfen: Sanierung und Nutzung eines alten wunderschönen Gebäudes, kein Verbrauch von Baumaterial und grauer Energie für einen Neubau, Erhaltung einer schönen Grünfläche, da der Sportplatz des Bertholdgymnasiums nicht zubetoniert wird. Und vielleicht werden ja sogar noch Photovoltaikanlagen auf der nach Süden ausgerichteten Dachseite des Lycée Turenne möglich, auch wenn der Denkmalschutz das sicher kritisch sieht. Aber das sind genau die Kompromisse, die ich mir wünschen würde, um der Verpflichtung kommenden Generationen gegenüber gerecht werden zu können. Solche klugen Konzepte wünsche ich mir jetzt auch für die Stadthalle. Und bezüglich weiterer Schulen: Einer meiner Söhne hat ein United World College, UWC in Indien besucht und ich schätze die Erfahrungen und interkulturelle Kompetenz, die die Schüler:innen hier erwerben können. Da habe ich mich besonders gefreut, als Freiburg Heimat des deutschen UWCs wurde.
BV: Was sind Ihre Stärken?
BT: Auf Menschen zuzugehen, sie einzubinden und manchmal auch entscheidungsfreudig zu sein.
BV: Und Schwächen? Wenigstens eine?
BT: Ich lese gerne bis nachts um 2 Uhr und komme dann morgens nicht aus dem Bett…
BV: Sie wohnen in der Wiehre, das Thema Anwohnerparken ist immer wieder ein Politikum. Wo stellen Sie Ihr Auto ab?
BT: Gar nicht! Ich habe schon seit 30 Jahren keins mehr und bin glückliches Mitglied im Carsharing-Verein!
BV: Wie steht Ihr Mann denn zu ihrem plötzlichen Vollzeitjob?
BT: Der steht voll dahinter. Er ist ja auch Mitglied im Bürgerverein, wird dringend bei allen IT-Problemen gebraucht und hält mir den Rücken frei. Da sind wir ein eingespieltes Team.
BV: Fr. Tappeser, wir wünschen Ihnen einen guten Start und freuen uns auf eine gute, kreative und vertrauensvolle Zusammenarbeit!