Immer häufiger liest und hört man (frau?) „gendergerechte“ Sprache in der Hoffnung, damit die Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern. Dies ist zwar ein wichtiges und noch längst nicht erreichtes Ziel; diese Sprache hat aber in meinen Augen mehrere Nachteile. Einmal führt dies zu sprachlichen Längen ohne Informationsgewinn (Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen – mir fällt dabei auf, dass mit dieser Formulierung zwar die Ministerpräsidentinnen von Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz eingeschlossen werden, nicht aber der Regierende Bürgermeister in Berlin, der Erste Bürgermeister in Hamburg oder der Präsident des Senats in Bremen, vielleicht weil es Männer sind?).
Der Ausweg SuS für „Schülerinnen und Schüler“ kann nicht ernst gemeint sein. Wenn ich in ein und demselben Zeitungsartikel einmal „Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen“ und zweimal nur „Mitarbeiter“ lese, dann frage ich mich, warum die Firma nicht einfach 1300 Frauen und Männer beschäftigt. Dazu kommen Ungenauigkeiten: eine Studentin beim Mittagessen ist keine Studierende; ein Radfahrer, der sein Rad schiebt, ist kein Radfahrender. In anderen Fällen ist Gendergerechtigkeit schlicht nicht möglich: oder will jemand ernsthaft von einem Oberbürgerundbürgerinnenmeister sprechen oder schreiben? Auch habe ich schon unsinnige Formulierungen wie „Mitglieder und Mitgliederinnen“ oder „weibliche Schauspielerinnen“ gelesen. Und gehört nicht die irakisch-britische Architektin Zaha Hadid zu den bemerkenswertesten Architekten unserer Zeit und nicht nur zu den bemerkenswertesten Architektinnen?
Es gibt männliche und weibliche Bösewichte (der Bösewicht), männliche und weibliche Personen (die Person), wo ist das Problem? Was haben der Tisch oder die Mütze mit Mann bzw. Frau gemeinsam außer dem Artikel?
Mir ist nicht bekannt, dass Louise Otto-Peters oder Helene Lange, klassische Aktivistinnen der Frauenbewegung, oder auch die in Freiburg wirkende Frauenrechtlerin Grete Borgmann „gendergerechte“ Sprache verwendet haben, und auch bei Dichterinnen wie Annette von Droste-Hülshoff oder der Nobelpreisträgerin Herta Müller sucht man diese Sprache vergebens – aus Achtung vor der deutschen Sprache.
Im Ungarischen oder Türkischen haben die Substantive kein Geschlecht; ist die Gleichberechtigung dort etwa weiter als bei uns? Und was meinen französische Rekruten (la recrue) dazu?
Vergleicht man Sätze wie „Dort geht ein Lehrer spazieren“, „Hans und Maria sind ein Lehrerehepaar“, „Lehrer verdienen bei uns nicht schlecht“ oder „Zurzeit werden nur Frauen als Lehrer eingestellt“, dann sieht man, dass je nach dem Zusammenhang das Wort Lehrer einen Mann, eine Frau oder beide Geschlechter meint.
Deshalb werde ich auch weiterhin einen Arztbesuch machen, wenn ich krank bin, obwohl ich mich einer Hausärztin anvertraue, und auch bei Artikeln im Bürgerblatt auf „Gendergerechtigkeit“ verzichten. Auch dürfte sich wohl keine Lehrerin weigern, an einer Lehrerkonferenz teilzunehmen, und es ist zu hoffen, dass sich auch in Zukunft genügend junge Frauen zu einer Handwerkelehre entschließen. Der Bürgerverein freut sich über jeden Leserbrief unabhängig von der geschlechtlichen Identität des Schreibers. Ich bin jedenfalls froh, dass es für das Bürgerblatt in diesem Bereich keine starren Redaktionsregeln gibt, respektiere aber jede und jeden, der dies anders als ich sieht und handhabt.
K.-E. Friederich