Dass die Wiehre in früheren Jahren als ungesunde Wohngegend galt, in der sogar die Malaria grassierte, mag sich heute niemand mehr so recht vorstellen. In der wasserreichen Gemeinde gab es eine größere Zahl von Feuchtgebieten, Mooren, Seen und Weihern, die bis auf kleine Reste schon vor langer Zeit trocken gelegt wurden. Um manche dieser Gewässer, deren klingende Namen sich gelegentlich noch in Gewannen oder Straßenbezeichnungen finden, ranken sich bis heute Legenden.
Bei manchen der Gewässer lässt sich die frühere Lage ungefähr rekonstruieren, bei anderen tut man sich mit der Verortung schwerer. Als Beispiel sei zunächst der Nägelesee genannt. Dieser tauchte, obwohl längst trockengelegt, als Gewannbezeichnung noch 1920 in Stadtplänen als trapezförmige Fläche auf – zwischen der Knopfhäuslesiedlung im Westen und der Möslestraße im Osten, südlich und nördlich begrenzt durch Schützenallee und Schwarzwaldstraße. Als diese Fläche, bis dahin noch als Fußballplatz genutzt, zum Messplatz wurde, verschwand die Bezeichnung an der Stelle.
Wie könnte dieses Gewässer ausgesehen haben? Dass die Trapezform lediglich durch die Straßenstruktur vorgegeben war und nicht der Form des Sees entsprach, liegt auf der Hand. Anzunehmen ist auch, dass der See größer als das spätere Gewann war und sich weiter nach Westen erstreckte – wenn auch nicht ganz bis zur Nägeleseestraße, so doch zumindest bis zum Gasthaus Schützen: In der Chronik dessen Vorgängerbauten wird erwähnt, dass um 1700 einem „Lehensgut am Nägelesee“ die Schützen- und Wirtschaftsgerechtigkeit verliehen und dort ein Schützenhaus gebaut wurde. Auch der um 1750 errichtete, noch heute bestehende Bau wird in Urkunden mehrfach als „Haus auf dem Nägelesee“ bezeichnet. Der See selbst war aber schon damals nicht mehr vorhanden.
Zur Namensherkunft sei zunächst erwähnt, dass die Bezeichnung „Nägelesee“ oder ähnliche Varianten im alemannischen Sprachraum sehr häufig vorkommen. Auch z.B. in Gundelfingen gibt es ein Gewann dieses Namens. Stadtarchivar Poinsignon bemerkt in seiner 1891 erschienenen „Geschichtlichen Ortsbeschreibung“ zur Namenserklärung „Alte Schreibart Egelsee, Negilisee. Der Nägelesee verdankt […] einer größeren Wasserpfütze, welche mit Blutegeln besetzt war, seinen Namen“. Eine andere Erklärung, nach der man sich die den See als Meer blühender „Nägele“ (Nelken) vorstellen müsse, verweist er „ins Reich der Poesie“. Poinsignon erwähnt noch, dass das Gewann früher als Militärübungsplatz gedient habe – und möglicherweise sogar als Hinrichtungsstätte. Ein weiteres schauriges Detail aus der Geschichte ist, dass der Nägelesee mehrfach in den erpressten Geständnissen der als „Hexen“ verurteilten Frauen als angeblicher Hexentanzplatz erwähnt wird.
Bis heute erleichtern kleine Details in der Geländetopografie die Vorstellung, dass im Bereich der Knopfhäusle und des „ZO“ einst ein See lag. So liegt das Geländeniveau in diesem Bereich etwas tiefer als das der Schwarzwaldstraße und der Schützenallee. Ob das tatsächlich einem früheren Seebecken zuzuschreiben ist oder eher einer gebauten Anhebung der Straßenniveaus, sei dahingestellt.
Nicht eindeutig geklärt ist, inwieweit das unmittelbar südöstlich anschließende Gewann „Mösle“ in früheren Jahrhunderten ebenfalls Standort eines stehenden Gewässers war. Es wird jedenfalls in alten Beschreibungen immer wieder als „sumpfiges Terrain“ bezeichnet, und eine weitere Parallele zum Nägelesee ist der Ruf des „Mösle“ als angeblicher Hexentreffpunkt. Unstrittig ist, dass das Gebiet bei der Trinkwasserversorgung der Stadt eine wichtige Rolle spielte. Zumindest in einem Plan des Mösleparks, der allerdings erst um 1885 angelegt wurde, ist nördlich der Waldseestraße ein Teich eingezeichnet, der nicht mehr existiert und vermutlich auf einen künstlich entstandenen Weiher zurückging, in dem Eis zur Bierkühlung gewonnen wurde.
Zu den weiteren „verschwundenen“ Gewässern in der Wiehre zählen etwa der Turnsee oder der alte Deichelweiher, der früher eine andere Form hatte. Hiervon soll in einem Folgebeitrag berichtet werden.
Joachim Scheck