Straßen umbenennen – Ja oder nein?

Paul von Hindenburg (1914) von Nicola Perscheid

Kaum ein Thema spaltet die Freiburger so sehr, wie die vorgesehene Umbenennung von Straßennamen – bei uns in der Oberau die Hindenburgstraße. Auch im Bürgerverein sind die Ansichten geteilt: Dürfen Straßen nach zwiespältigen Personen benannt werden – oder sind diese Straßen mit Erläuterungstafeln geeignet, uns der Geschichte zu stellen?

Der Experten-Kommission kann nicht genug gedankt werden für ihre Arbeit, die uns Licht- und Schattenseiten dieser Männer (es sind nur Männer!) aufgezeigt haben; dies gilt unabhängig davon, ob wir uns ihre Schlussfolgerungen zu eigen machen.
Damit sich jeder Leser, jede Leserin ein eigenes Bild machen kann, bringen wir das Gutachten über Paul von Hindenburg (1847 – 1934), Generalfeldmarschall, 1925 – 1934 Reichspräsident, im Wortlaut:

Nachdem Hindenburg bereits 1911 in den Ruhestand verabschiedet worden war, wurde er 1914 reaktiviert und zum Oberbefehlshaber der 8. Armee in Ostpreußen ernannt. Dort schlug er dank des strategischen Talents seines Mitarbeiters Erich Ludendorff die russische Armee in einer später zum politischen Mythos („Tannenberg“) verklärten Schlacht zurück. Ab 1916 übernahm er mit Ludendorff die Oberste Heeresleitung (OHL) und trug damit an maßgeblicher Stelle Mitverantwortung für Entscheidungen wie den uneingeschränkten U-Bootkrieg 1917 (der zum Kriegseintritt der USA führte), die abgelehnte Initiative für einen Verständigungsfrieden des Deutschen Reichstags (1917) oder den harten Gewaltfrieden von Brest-Litowsk. Nach dem Krieg propagierte Hindenburg in einem  Untersuchungsausschuss des Reichstags ebenso wie in seinen Memoiren die sogenannte „Dolchstoßlegende“, die die Schuld für die eigentlich von der OHL militärisch verursachte Niederlage auf Sozialdemokraten und andere demokratische Politiker abwälzen wollte. Diese maßgeblich von Hindenburg in die Welt gesetzte Legende wurde zu einer der wichtigsten Propagandaparolen der antidemokratischen und antisemitischen Kräfte, die gegen die Weimarer Republik kämpften.
Von 1919 bis 1925 war Hindenburg erneut im Ruhestand und wurde nach einem ergebnislosen ersten Wahlgang zur Reichspräsidentenwahl von rechten Parteien als Kandidat nominiert, demokratisch gewählt und am 12.5.1925 vereidigt. Obwohl er überzeugter Monarchist war, hielt er sich zunächst an die Reichsverfassung, hintertrieb aber alle Ansätze, seine Machtbefugnis aus Artikel 48 einzuschränken. Ab 1930 regierten im Deutschen Reich von Hindenburg persönlich abhängige Reichskanzler (Brüning, Papen, Schleicher) unter Berufung auf diesen Artikel 48. Als der Reichstag 1930 die von Hindenburg gegengezeichneten Notverordnungen Brünings aufheben wollte, löste dieser das Parlament auf, bei den Neuwahlen erhielten die demokratischen Parteien keine Mehrheit mehr. Bei der neuen Reichspräsidentenwahl 1932 blieb den demokratischen Parteien nichts anderes mehr übrig, als Hindenburg zu unterstützen, wenn man Hitler als Reichspräsidenten verhindern wollte. Nach zwei erneuten Reichstagswahlen 1932 war eine Regierungsbildung ohne die Nationalsozialisten und die DNVP [Deutschnationale Volkspartei] nicht mehr möglich. Als auch General Schleichers kurze Kanzlerschaft gescheitert war, ernannte er [Hindenburg] am 30.1.1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler. Nur zwei Tage später, am 1.2.1933, unterschrieb Hindenburg die erneute Auflösung des Reichstags, weitere zwei Tage später aber auch die „Verordnung zum Schutze des Deutschen Volkes“ und damit die Einschränkung der Versammlungs- und Pressefreiheit, sowie die sogenannte „Reichstagsbrandverordnung“, die wesentliche Grundrechte der Verfassung aushebelte (Meinungsfreiheit, Brief- und Fernmeldegeheimnis, Hausdurchsuchungen etc.) und willkürliche Verhaftungen politischer Gegner der Nationalsozialisten ermöglichte. Noch wichtiger wurde dann das ebenfalls von Hindenburg unterzeichnete Ermächtigungsgesetz, mit dem die Regierung Hitler nun unabhängig vom Reichstag Gesetze erlassen konnte. Bis zu seinem Tod spielte Hindenburg dann in der Politik keine bedeutende Rolle mehr.
Bereits die faktische Herrschaft der OHL unter Hindenburg und Ludendorff wird von vielen Historikern als „Militärdiktatur“ bezeichnet, die die meisten politischen Entscheidungen autonom traf und dabei weder die Mehrheiten im Reichstag noch die Meinung des Kaisers berücksichtigte. Als OHL verhinderten sie ein früheres Kriegsende und waren entschiedene Gegner des vom Reichstag geforderten Verständigungsfriedens. Mit der „Dolchstoßlegende“ befeuerten sie die Mobilisierung der antidemokratischen Kräfte gegen die Weimarer Republik. Obwohl sich Hindenburg lange an die Buchstaben der Weimarer Verfassung hielt, war er kein Demokrat. Statt die Bildung einer Reichstagskoalition abzuwarten, ernannte er 1930 eigenmächtig Brüning zum Reichskanzler, der auf Hindenburgs Vertrauen gestützt unabhängig vom Parlament mit Notverordnungen regierte. Er nutzte mit Artikel 48 die Schwächen der Verfassung aus und löste 1930 den Reichstag auf, womit er erneut entscheidend zur Radikalisierung der Politik beitrug, weil die demokratischen Parteien nun zwischen den antidemokratischen Kräften von Kommunisten und Nationalsozialisten in der Minderheit waren. Besonders schwerwiegend waren aber seine Berufung Adolf Hitlers zum Reichskanzler und seine nachfolgende Unterstützung. Als Reichspräsident hätte er niemals – und ohne Zwang – die Verordnungen und das Ermächtigungsgesetz unterzeichnen dürfen, die die freiheitlichen und demokratischen Grundrechte der Verfassung aufhoben und die nationalsozialistische Diktatur erst ermöglichten.
Die Kommission stimmt geschlossen für die Umbenennung und schlägt stattdessen Otto Wels (1873 – 1939) vor, den SPD-Vorsitzenden, der die letzten freien Worte im Deutschen
Reichstag gegen das Ermächtigungsgesetz sprach und 1933 ins Exil ging.
Vor 1927 hieß die Straße Geleitstraße.

K.-E. Friederich, BV

Wir bekamen Zuschriften, die wir auch gerne veröffentlichen.

Der in der Hindenburgstraße wohnende Historiker Jürgen Förster sandte uns seinen Leserbrief zu, der bereits in der Badische Zeitung veröffentlich wurde und von ihm in 240 Briefkästen der Hindenburgstraße verteilt wurde. Nach seinen Angaben kam nur eine einzige negative Rückmeldung zurück, aber viele positive lobende Worte.

Freiburg, 10. November 2016

ANWOHNER DER HINDENBURGSTRASSE!

Der Berg kreißte und gebar eine Maus. Aber dieser kleine Nager knabbert auch an unserem Straßenschild. Was ist geschehen? Eine vom Gemeinderat eingesetzte Kommission hat nach jahrelanger Arbeit befunden, dass der uns geläufige Name auf dem blauen Schild nicht länger tragbar ist. Dabei hat die Hindenburgstraße eine lange Geschichte, an der selbst die französische Besatzungsmacht 1945 keinen Anstoß nahm, obwohl sie triftigere Gründe gegen Hindenburg hätte vorbringen können als die heutige Kommission. Anders als die drei weiter geduldeten „Militaristen“ Boelcke, Immelmann und Weddigen, die die Stadt 1934 im „Heldenviertel“ ehrte, wurde der „Heros von Tannenberg“ und Reichspräsident Hindenburg 1927, also in der Weimarer Republik, als Namensgeber eines Straßenzuges an der Dreisam auserkoren. Sein Name soll nun getilgt werden.
Die dafür von der Kommission gegebene Begründung kann mich weder als Anwohner geschweige denn als Historiker überzeugen. Sie ist eher dem Zeitgeist der political correctness als dem historischen Kontext geschuldet. Hindenburg hat kein Alleinstellungsmerkmal für die „Dolchstoßlegende“ oder als Steigbügelhalter für Hitler. Erinnert sei an den Führer der Mehrheitssozialdemokraten und späteren Reichspräsidenten Ebert, der die am 10. Dezember 1918 durchs Brandenburger Tor marschierenden kaiserlichen Garde-Soldaten mit den Worten begrüßte: „Kein Feind hat Euch bezwungen… Deutschland´s Einheit liegt in Eueren Händen.“ Die letzte demokratisch legitimierte Weimarer Regierung unter Hermann Müller (SPD) scheiterte 1930 nicht etwa an Hindenburg, sondern an ihren inneren, unlösbaren sozial- und finanzpolitischen Konflikten. Die Weltwirtschaftskrise half kräftig mit, dass die NSDAP 1932 zur stärksten Fraktion im Reichstag wurde. Auch für das Ermächtigungsgesetz von 1933 ist Hindenburg nicht allein verantwortlich. Es war Ebert, der im Herbst 1923 aufgrund des Artikels 48 der Reichsverfassung zweimal zu diesem scharfen Mittel gegriffen hatte, um die „öffentliche Sicherheit und Ordnung“ in Deutschland wiederherzustellen. Was aber unterschied die Ermächtigungsgesetze von 1923 und 1933? Hitler ließ sich seine „Ermächtigung“ immer wieder verlängern, was einen permanenten Ausnahmezustand bedeutete. Aber da war Hindenburg längst tot.
Wer meine historische Kritik an der geplanten Umbenennung nicht teilt, der möge an die finanziellen Kosten, mühseligen Behördengänge und immensen Schriftverkehr denken, die auf uns Anwohner zukommen. Warum genügt im “Falle Hindenburg“ nicht auch ein erklärender Zusatz auf dem Straßenschild?

Jürgen Förster, Haus Nr. 8


Kurz vor Redaktionsschluss erreichte uns das folgende Schreiben von Anwohnern der Hindenburgstraße. In Sachen Straßenumbenennung haben uns mehrere Anrufe, E-Mails und auch Schreiben erreicht, die teils Pro und Contra einer Umbenennung waren. Außergewöhnlich an dem Folgeschreiben ist, dass alle siebzehn namentlich genannten Personen aus der betroffenen Straße selbst stammen.

Freiburg, 10. November 2016

Sehr geehrte Redaktion,
folgenden Leserbrief bitte ich im neuen Bürgerblatt abzudrucken. Ich habe mit dem Leserbrief Unterschriften von direkt betroffenen Anwohnern der Hindenburgstr. in einer einstündigen Aktion gesammelt, die für die Umbenennung der Straße sind.
Umbenennung der Hindenburgstraße
Als direkte Anwohner der Hindenburgstraße begrüßen wir das Ergebnis der vom Stadtrat eingesetzten Kommission, auch die Hindenburgstraße umzubenennen.
Gerade jetzt in einer Zeit in der viele Bürgerkriege in der Welt das Leben von Millionen Menschen gefährden,  kann es nicht angehen, dass Straßen nach Militaristen benannt sind, die für den Tod von Millionen Menschen verantwortlich sind.
Paul von Hindenburg wurde im 1. Weltkrieg 1914 zum Oberbefehlshaber der achten  Armee in Ostpreußen ernannt. In diesem Krieg bildete Hindenburg mit General Ludendorff ab 1916 die Oberste Heeresleitung. Der Ausgang des ersten Weltkrieges ist ja bekannt. Nichts gelernt aus diesem Krieg mit rund 17 Millionen Toten war er Mitbegründer der unerträglichen Dolchstoßlegende. Diese maßgeblich von Hindenburg in die Welt gesetzte Legende wurde zu einen der wichtigsten Propagandaparolen der antidemokratischen- und antisemitischen Kräfte, die gegen die Weimarer Republik kämpften. Dass er als Reichspräsident sein Amt freiwillig an Hitler abgab und der Faschismus an die Macht kam und somit die Welt in den zweiten Weltkrieg führte, ist ebenfalls hinlänglich bekannt.
Den Namen Hindenburg durch Benennung einer Straße hervorzuheben ist daher abzulehnen.
Welcher Name stattdessen der Straße gegeben wird, ist dann der 2. Schritt. Hierzu könnte man die Meinung der Anwohner/innen einholen und einen mehrheitsfähigen Namen finden.

Hanjo Glatting, Hindenburgstr.26 – Maria Flender, Hindenburgstr.26 – Volkhard Serafim, Hindenburgstr.26 – Silvia Nitz, Hindenburgstr.26 – Andrea Dozard, Hindenburgstr.24 – H.- Joachim Günter, Hindenburgstr.24 – S. Wahl, Hindenburgstr.24 – M. Wahl, Hindenburgstr.24 – Joshua Schreiber, Hindenburgstr.24 – Ilse Strittmatter,Hindenburgstr.26 – Felicitas Zimmer, Hindenburgstr.20a – Susanne Krüger, Hindenburgstr.20 – Marvin Beerweiler, Hindenburgstr.20 – Nico Sauer, Hindenburgstr.20 –  Elisa Engel, Hindenburgstr.20 – Jami Trabold, Hindenburgstr. 20 – Brigitte Jaschke, Hindenburgstr.18
Mit freundlichen Grüßen
Hanjo Glatting